Sebastian Christoph Jacob Gitarrist


Zauber der Gitarre und ihre Lebendigkeit

Um den Zauber des Klangs der Gitarre und dessen Wirkung zu verstehen, ist es sinnvoll, zunächst noch einmal einen kurzen Blick auf ihre Herkunft zu werfen. Aus einer anderen Perspektive. Wenn wir uns die vielen Tausend Jahre vergegenwärtigen, in denen die Gitarre ihren Weg bis in die heutige Zeit gefunden hat, führt die folgende Vorstellung zu einer wertvollen Erkenntnis:

Von dem Moment an, seit dem der Drang des Menschen nach Besitz dem natürlichen, darüber liegenden Streben nach geistiger Erfüllung entgegenstand, hat er versucht, einen indirekten Berührungspunkt zu finden, der ihm das Gespräch mit seinem Innern dennoch erlaubte. Er baute sich einen Klangkörper aus Holz. Einen durchlässigen Resonanz-Körper, der die Schwingungen seiner Seele, ungehindert von Fleisch und Blut, aufnimmt. Um ihn zum Klingen zu bringen, erfand er, ursprünglich aus Tierdarm, also aus organischem Material, die Saite. Anders als bei Tasteninstrumenten, deren Saiten über eine Mechanik durch ein Hämmerchen angeschlagen werden, oder bei Streichinstrumenten, bei welchen der Bogen als Übermittler der Spielbewegung dient, werden bei der Gitarre die Saiten direkt mit den Fingern in Schwingung versetzt. Da die Gitarre sich durch die Spielhaltung sehr nah am Körper befindet, wird dieser unmittelbare Kontakt zum Instrument noch intensiver. Er hat entscheidenden Einfluss auf die Temperatur und somit auf die Befindlichkeit des Instruments. Ruhe, Körpertemperatur und die Geschmeidigkeit der Finger führen zum fließenden Austausch zwischen Spieler und Instrument. Im Zusammenwirken all dieser Eigenheiten gibt die Gitarre, über die Art ihres Klangs, immer eine ganz direkte Auskunft über den Einklang von Körper und Geist des Spielers. Die Gitarre ist ein Gegenüber, welches unzweifelhaft immer eine ehrliche Spiegelung unseres inneren Zustandes wiedergibt. Sie ist Vermittler des Wesentlichen. Sie öffnet die Tür zu unserem Inneren, wo wir wirklich berührt werden wollen. Die Gitarre ist ein sehr intimes Instrument. Vielleicht mehr als jedes andere.
Auf ihrem langen Weg, den sie durch die verschiedenen Kulturen und Kulturepochen zurückgelegt hat, musste die Gitarre, in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, den unterschiedlichsten Tonanforderungen entsprechen. Diese hat sie alle in sich aufgenommen und in ihre heutige Gestalt in brillanter Weise integriert. Die erforderte Art des Spiels für Musik der europäischen Kulturgeschichte hat, in Bezug auf die Anschlags- und Grifftechnik, ihren Ursprung in der Lautenspieltechnik. Die Laute war das Instrument, welches im Nord- sowie Südeuropäischen Raum die Hofkultur prägte und nicht nur die Königin der Instrumente war, sondern auch das Instrument der Könige. Wegen der Unmittelbarkeit und der farbigen Nuancierung ihres Klanges wurde die Laute des einfühlsamen Ausdrucks mehr als andere Instrumente für fähig befunden. Sie stand im Ruf, Hörerinnen und Hörer in ihrem tiefsten Inneren anzurühren. Bei Hofe gehörte es zum guten Ton, das Spiel der Laute zu beherrschen. Und wenn die Fürsten sie nicht wirklich zu spielen wussten, so ließen sie sich doch wenigstens gern nachsagen, sie seien des Lautenspiels kundig.

In ihrer langen, bewegten Geschichte vereint die Gitarre in ihren verschiedenen stilistischen Ausprägungen das Ideal akkordischen Vollklangs und die virtuosen Spielmöglichkeiten ornamental ausgestalteter, gesanglicher Melodieführung bis hin zu schnellen Läufen. Durch die sehr kultivierte, hochdifferenzierte Anschlagstechnik, welche sowohl eine dynamisch als auch über die Klangfärbung geführte Phrasierung ermöglicht, wird die Schönheit des gezupften Tons noch gesteigert. In Verbindung mit den unendlichen Möglichkeiten, welche das Griffbrett für die Arbeit der linken Hand bietet, kann die Gitarre Stimmen trennen, Tonmitglieder eines Mehrklanges unterschiedlich lange halten und unabhängig voneinander verschwinden lassen, sie in vielfältiger Art modulieren und auf diese Weise eine bewegte, atmende Sprache sprechen. Inhärente Mehrstimmigkeit, die Zugehörigkeit einzelner Töne oder Tongruppen einer Melodie zu verschiedenen gedachten Melodien, welche ganz eigene melodische Hörweisen des Spielers darstellen, lässt sich auf der Gitarre durch polyphones Verweben dieser Töne in verschiedene Stimmen, als eine ganz exklusive Angelegenheit realisieren. In Einbezug all dieser klanglichen Raffinessen bietet die Gitarre die erstaunliche Möglichkeit, auch der Barockmusik, mit ihrem Verlangen nach filigraner klanglicher Transparenz, deren Forderung nach stimmlicher Unabhängigkeit und gleichzeitig bewegter tonlicher Ausgewogenheit in besonderer Weise gerecht zu werden. Sie ist ein freundlicher Zuspieler und ein zugeneigtes Ausdrucksmittel für all die differenzierten und prägnanten Artikulationsformen, welche diese Musik erfordert. Selbstverständliche Vorraussetzung dafür ist eine liebevolle Strenge, der es bedarf, um sich nicht von den Möglichkeiten des Instruments hinreißen und treiben zu lassen, sondern sich an die geschriebene Musik anzunähern und den großen expressiven Schatz, den die Gitarre als vermittelndes Instrument birgt, zu nutzen, um in angemessener und homogener Form der Komposition und dem sich in ihr befindenden geistigen und seelischen Reichtum in ihrem wesentlichen Kern so nah wie möglich zu kommen.

Durch ihre Geschichte lässt die Gitarre weit in die Vergangenheit blicken. Dort liegen auch die Anfänge unserer eigenen, persönlichen Geschichte. Dort öffnet sich der Blick in die Tiefe auf den Grund unseres Selbst. Und von hier aus blicken wir in eine neue Zukunft. Über Jahrtausende hat die Gitarre den Menschen in seiner seelischen Entwicklung begleitet. Sie hat das positive seelische genetische Erbgut des Menschen weiter getragen. Sein negatives Erbgut wird durch das Spielen der Gitarre mit seinem positiven in Berührung gebracht. So spürt er seine inneren Zusammenhänge. Der Mensch findet durch die Gitarre, die ihm wie ein Ersatzkörper Raum für die Schwingungen seiner Seele gibt, eine Lösung seiner Zerrissenheit zwischen Besitz und geistiger Erfüllung.
Der Gitarrist berührt mit den Fingern das, was wieder in ihm durchscheinen will und bringt es zum Klingen. Die Gitarre repräsentiert alles, was dem Gitarristen als zur Wahrheit strebenden Menschen wirklich wichtig ist. So erscheint die Gitarre im wahrsten Sinne als Ideal seiner besseren Hälfte. Nur wenn sie guten Umgang, eine mutige, eindeutige Ansprache und so den richtigen, klaren Ton erfährt, kann sie ihren beglückenden Klang entfalten. Wenn sie auf liebevolle, respektvolle Art berührt wird, beginnt das Holz ihres Körpers mehr und mehr zu schwingen. Sie beginnt zu atmen und immer schöner zu strahlen. Je mehr man ihren Möglichkeiten vertraut, umso mehr wird dieses Vertrauen durch den Klang ihrer verschiedenen hellen und dunklen, lauten und leisen, harten und weichen Klangschattierungen in wunderbarer Weise als direkte Antwort auf unsere feine Aufmerksamkeit ihr gegenüber von ihr lebendig wiedergegeben. Bei richtigem Umgang bewirkt die Gitarre ein wahres Wunder: Sie fügt den Menschen wieder zusammen und lässt ihn wieder er selbst sein.

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